
Erklärung der Sozialen Arztpraxis und Apotheke KIF Arta zu ihrer Schließung
Die Sozialklinik und Apotheke in Arta im nordwestlichen Griechenland (KIF Arta) ist nach neun Jahren ihrer ununterbrochenen Öffnung zur Schließung gezwungen. Hintergrund dafür ist der völlige Mangel finanzieller Mittel. Die KIF Arta war seit Anfang November 2014 eine unabhängige und selbst organisierte Einrichtung der SOZIALEN SOLIDARITÄT, die unversicherten, arbeitslosen und bedürftigen Menschen eine KOMPLETT KOSTENLOSE medizinische Grundversorgung anbot, und zwar unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion oder politischer Identität.
Unser Kampf für ein starkes, integratives und diskriminierungsfreies nationales Gesundheitssystem (ESY) wird jedoch weitergehen.
Die SOLIDARITÄT endet nicht und hört hier nicht auf.
Der Kampf geht weiter und die Zukunft währt lang.
Der Vorstand: Barka Maria, Tzahrista Rena, Stamouli Iphigenie, Milionis Apostolos
DIE ÄRA DER SOZIALEN ARZTPRAXIS UND APOTHEKE ARTA IST ZU ENDE
Mit dem Beginn der Eurokrise und den Memoranden wurden die wesentlichen Elemente des Gesellschaftsvertrags aufgekündigt, der auf den demokratischen Neubeginn nach der Diktatur in Griechenland zurückging. Die daraus resultierenden negativen Entwicklungen betrafen uns ALLE und zwar auf allen Ebenen. Die einzig gebotene Antwort auf diesen Versuch, das Sozialgefüge des Landes zu zerschlagen, war die SOLIDARITÄT unter uns.
Vor allem im Gesundheitssektor waren die Folgen tragisch: Einrichtungen der medizinische Grundversorgung wurden geschlossen, Krankenhäuser im Land wurden dicht gemacht und die verbliebenen waren unterbesetzt. Die Anzahl der unversicherten Menschen, die von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen waren, stieg an; aber auch Versicherte hatten Mühe, die gestiegenen Kosten zu tragen. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass, da wir ALLE betroffen waren, die einzige zwingende Antwort auf das Elend, in das wir als Gesellschaft geführt wurden, in unserer SOLIDARITÄT bestand.
Bereits während der Memoranden waren landesweit Dutzende Initiativen sozialer Solidarität entstanden, die Arbeitslose, Unversicherte, Ausgegrenzte und später Geflüchtete und Migrant*innen umfassten (Sozialkliniken und Apotheken, soziale Lebensmittelgeschäfte, Gemeinschaftsküchen, Handel ohne Zwischenhändler usw.). Dies wandelte SOLIDARITÄT von einem unbekannten Konzept in notwendiges Handeln, um die Zerstörung des Sozialgefüges des Landes zu verhindern.
6.240 Menschen und weitere Aktivitäten
Wie alle anderen solidarischen Initiativen setzten auch die Aktiven der Sozialklinik und Apotheke Arta ihren Kampf für eine öffentliche und kostenlose Gesundheitsversorgung auf der Grundlage der Prinzipien der ALLGEMEINHEIT, GLEICHHEIT und UNEIGENNÜTZIGKEIT ohne Ausgrenzung fort. Aus unseren Aufzeichnungen geht hervor, dass die Anzahl der Menschen, die von der KIF Arta versorgt wurden, bis heute 6.240 Personen beträgt. Während des gesamten Zeitraums, in dem die KIF Arta tätig war, haben wir weitere Aktivitäten, die über die Stadtgrenzen hinausgingen, entwickelt. Im Einzelnen waren dies:
- Im Februar 2015 haben wir uns an der gesamtgriechischen Kampagne „Solidarity for All“ für die aus Kobani Geflüchteten beteiligt, indem wir medizinisches Material, haltbare Lebensmittel und Kleidung dorthin sendeten.
- Während der Weihnachtstage organisierten wir Basare und unterstützten mit den Einnahmen bedürftige Familien mit Lebensmitteln und anderen wichtigen Dingen.
- Im Dezember 2015 besuchte eine Solidaritätsgruppe der KIF Arta die Geflüchteten in Idomeni und brachte pharmazeutisches Material und lebensnotwendige Güter dorthin.
- Wiederholt unterstützten wir die griechische Kinderhilfsorganisation „Kivotos tou kosmou“ mit Medikamenten, Lebensmitteln und finanzieller Hilfe.
- Wir kauften und schickten dringend benötigte Impfstoffe an das Frauengefängnis von Theben.
- Wir unterstützten das Flüchtlingslager von Filippiada von Anfang an mit Lebensmitteln, Kleidung, lebensnotwendigen Dingen, Spielzeug für die Kinder und unserer gelegentlichen Anwesenheit.
- Wir spendeten Impfungen für Kinder, damit 70 Kinder des Lagers in die regionalen Schulen aufgenommen werden konnten; außerdem stellten wir diesen Kindern Schulausstattungen zur Verfügung.
- In all den Jahren unserer Tätigkeit hielten wir Kontakt zu anderen Sozialkliniken und Apotheken und kamen, wenn möglich, ihrem Wunsch nach bestimmten Arzneimitteln nach.
- Wir haben uns mit finanzieller Unterstützung an der Kampagne „Solidarity for All“ anlässlich der dramatischen Folgen der Brandkatastrophe im Camp Moria beteiligt (Tausende von Geflüchteten und Migrant*innen obdachlos, unterernährt, ohne Trinkwasser, mit schweren Verbrennungen, ohne medizinische Versorgung) und gleichzeitig die extrem neoliberale und rassistische Haltung der Regierung ihnen gegenüber angeprangert.
Internationale Solidarität
Es wäre vielleicht nicht möglich gewesen, all diese Aktionen durchzuführen, oder wir wären vielleicht bereits früher zur Schließung gezwungen gewesen, wenn wir nicht systematisch und umfassend von der Initiative Hellas-Solidarität-Bochum aus Nordrhein-Westfalen, Deutschland, unterstützt worden wären. Die Bochumer Solidaritätsgruppe hatte auf den Online-Aufruf von „Solidarity for All“ reagiert, um die noch junge Initiative der KIF Arta zu unterstützen, die am Ende des Frühjahrs 2015 vor der Schließung stand. Die Bochumer Solidaritätsgruppe unterstützte uns seit dem Sommer 2015 systematisch und leistete bis vor kurzem moralische und materielle Hilfe (Medikamente, Langzeitnahrung, finanzielle Unterstützung).
An dieser Stelle muss der Beitrag eines der aktivsten Mitglieder der Initiative, des Gynäkologen Stefanos Papakitsos, erwähnt werden, der bis zu seinem Lebensende kontinuierlich und solidarisch zu unserem Projekt beitrug.
Von SYRIZA zur Nea Demokratia
Im Jahr 2015 erlebten wir eine graduelle Umstrukturierung des öffentlichen Gesundheitswesens. Im Jahr 2016 erließ die damalige Regierungspartei SYRIZA ein Gesetz zur allgemeinen Absicherung der Unversicherten, die „Gesundheitsarmut“ wurde dadurch drastisch reduziert, gesundheitliche Ungleichheiten wurden abgebaut. Die öffentliche Gesundheitsversorgung wurde wieder aufgebaut, sie war garantiert, für alle zugänglich und diskriminierungsfrei. Als die KIF Arta erlebte, dass die Anzahl der Hilfe suchenden Menschen deutlich abnahm, glaubten wir, dass unsere Tätigkeit schon in naher Zukunft nicht mehr notwendig sein würde.
Nach den Wahlen im Sommer 2019 übernahm die Nea Dimokratia die Regierung und offenbarte von Anfang an ihre Absicht, eine extrem neoliberale Politik umzusetzen, was bei der Mehrheit der Gesellschaft zu einem schmerzhaften Rückschlag führte. Mit der erneuten Regierungsübernahme nach den Wahlen am 25. Juni 2023 und der „Allmacht“, die ihr vom griechischen Volk mit der absoluten Mehrheit verliehen wurde, kann sie ihr zerstörerisches Werk problemlos vollenden. Der Kampf zur Verhinderung dieses Plans wird an der Stärke des Widerstands innerhalb und außerhalb des Parlaments gemessen werden. Wir können es uns nicht leisten, auch nur eine Minute zu verlieren!
Veny Polyzou
Arta, 3. Juli 2023